Dresden, 27. November 1998
Wirtschaftliche Verwerfungen durch EU-Osterweiterung verhindern!Vor dem Hintergrund der am 10. November 1998 in Brüssel offiziell begonnenen Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit Polen, Tschechien, Estland, Ungarn, Slowenien und Zypern hat der Sächsische Handwerkstag einen "politisch durchdachten und geordneten Beitrittsprozeß" angemahnt. "Ungeachtet der daraus auch für unsere Betriebe resultierenden neuen Chancen und unternehmerischen Möglichkeiten muß von Anbeginn im Blick behalten werden, daß die Osterweiterung selbstverständlich die gesamtwirtschaftliche Situation diesseits und jenseits der bisherigen EU-Außengrenzen spürbar verändern wird", sagte Handwerkstag-Präsident Wolfgang Rühlig am Freitag vor der Presse in Dresden.
Rühlig zufolge wirken sich Regelungen über Marktöffnung, Produktsicherheit, Freizügigkeit, Wettbewerbsrecht, innere Sicherheit sowie über Sozial- und Umweltstandards in den Grenzregionen ungleich stärker aus als in den übrigen Gebieten der EU. So sei z.B. davon auszugehen, daß deutsche Unternehmen in den Grenzregionen beim sofortigen Abbau aller Schranken infolge des enormen Gefälles bei Lohn- und Lohnnebenkosten einem drastisch verschärften Wettbewerbsdruck ausgesetzt würden. Allein entlang der insgesamt 566 Kilometer langen Grenze Sachsens zu Polen und Tschechien wären davon zirka 8000 Handwerksbetriebe des Freistaates betroffen. Ebenso hätten Unternehmen in den neuen EU-Mitgliedstaaten bei einem abrupten Übergang zum EU-Markt das Nachsehen, wenn etwa begehrte und hochspezialisierte Fachkräfte in Größenordnungen abwanderten.
Um wirtschaftliche Verwerfungen durch die EU-Osterweiterung auszuschließen und eine allmähliche Herausbildung homogener Wirtschaftsräume zu ermöglichen, bekräftigte der Präsident die u.a. bereits von Bayern geäußerte Forderung, für alle EU-Beitrittsländer Übergangsfristen und stufen für bestimmte Bereiche der Freizügigkeit, darunter für den freien Verkehr von Arbeitskräften und Dienstleistungen, vorzusehen. Ebenso seien etwa Übergangsregelungen für die Bereiche Produktsicherheit, Lebensmittelrecht, Gesundheits- sowie Umweltschutz vonnöten.
Des weiteren regte Rühlig an zu prüfen, inwiefern die betreffenden Regionen förderpolitisch - z.B. durch einen Sonderstatus - so bedacht werden können, daß die zeitweiligen besonderen Belastungen in den Grenzregionen EU-weit mitgetragen werden. Schließlich müsse die EU-Politik im Zuge der Reform der Regional- und Strukturpolitik für die Jahre 2000 bis 2006 ("Agenda 2000") insgesamt stärker auf kleine und mittlere Unternehmen ausgerichtet werden.
Handwerklicher Meisterbrief muß erhalten bleiben!
Rühlig zeigte sich überzeugt, daß Deutschland mit dem Meisterbrief über ein wirtschaftspolitisches Instrument verfügt, das auch auf einem größeren europäischen Markt die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Handwerks sichern wird. "Deutschland wäre schlecht beraten, dieses zunehmend auch in anderen Ländern Europas anerkannte Gütesiegel leichtfertig zu opfern", sagte er unter Anspielung auf Bestrebungen der neuen Bundesregierung, das bewährte Meisterprinzip als Voraussetzung zur Führung eines vollhandwerklichen Gewerbes in Frage zu stellen.
Laut Koalitionsvertrag will Bonn sich dafür einsetzen, daß der Meisterbrief künftig auch nach der Existenzgründung berufsbegleitend erworben werden kann. Dies müsse, so Rühlig, zwangsläufig eine Absenkung des Qualifikationsniveaus sowie eine deutliche Beeinträchtigung der künftigen Ausbildungsleistung durch das Handwerk zur Folge haben. Im übrigen sei eine solche Regelung überflüssig, da das zuletzt Anfang 1998 novellierte Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) seit langem derartige befristete Ausnahmebewilligungen vorsieht.
Nach Auffassung des Sächsischen Handwerkstages widersprechen die rot-grünen Bestrebungen nicht zuletzt der Einschätzung einer von der EU-Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe unter dem Namen "Best", die erst im Frühjahr dieses Jahres die institutionalisierte Weiterbildung zum deutschen Handwerksmeister auch anderen EU-Mitgliedstaaten ausdrücklich als nachahmenswert empfohlen hatte.
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